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Kränkungen meistern – Selbstregulation statt Selbstverlust

    Wenn Kränkungen tiefer treffen, als uns lieb ist

    Kennst du dieses Gefühl, wenn ein einziges Wort dich tagelang beschäftigt?

    Ein unbedachtes Wort, eine Absage, ein abwertender Blick und plötzlich zieht sich alles in uns zusammen. Der Atem stockt, das Herz klopft schneller, Gedanken überschlagen sich. Manchmal spüren wir Wut, manchmal nur Leere.


    Doch nicht jede seelische Verletzung ist eine Kränkung. Eine Kränkung geht tiefer. Sie trifft unseren innersten Kern und erschüttert unser Selbstempfinden. Plötzlich ist es schwer, bei uns selbst zu bleiben. Selbstregulation, die Fähigkeit, Gefühle im Gleichgewicht zu halten, wird unmöglich. Wir sind überwältigt, reagieren impulsiv oder ziehen uns ganz zurück. Warum ist das so? Und was können wir tun, um mit Kränkungen gesünder umzugehen?

    Eine Absage und plötzlich ist alles zu viel

    Eine Klientin freut sich seit Tagen auf ein Treffen mit ihrer Freundin. Endlich wieder Zeit füreinander, ein Gespräch von Herz zu Herz. Doch eine Stunde vorher kommt die Nachricht: „Es tut mir leid, ich bin total erschöpft. Ich schaffe es heute nicht. Können wir verschieben?“ In der Therapie erzählt die Klientin später aufgebracht: „Das lasse ich mir nicht mehr gefallen! Immer sagt sie kurzfristig ab. Ich werde die Freundschaft auf Eis legen. Ich muss endlich Grenzen setzen.“

    Doch beim genaueren Hinspüren zeigt sich, dass die Absage an sich nicht das eigentliche Problem ist. Sie trifft auf einen alten, wunden Punkt. Was die Freundin als Akt von Selbstfürsorge meint, erlebt die Klientin als Zurückweisung, ja sogar als Verlust. In ihr meldet sich ein tief verwurzeltes Gefühl: „Ich bin nicht wichtig. Immer werde ich stehen gelassen.“ Dieses Empfinden kennt sie aus ihrer Familie, wo Zuwendung oft unzuverlässig war und ihre Bedürfnisse wenig Raum bekommen haben.

    Weil Vergangenheit und Gegenwart sich überlagern, wird aus einer alltäglichen Absage ein inneres Drama. Es kommt zu Vorwürfen, Schuldzuweisungen und zu einem inneren Kontaktabbruch.

    Was in dieser Situation fehlt, ist die innere Grenze. Die Fähigkeit, ein altes Gefühl aus der Vergangenheit von der aktuellen Situation zu unterscheiden. Erst wenn diese Grenze spürbar wird, kann die Klientin ihre Emotionen einordnen und einen erwachsenen Umgang finden. Sie könnte dann zum Beispiel sagen: „Ich hatte mich sehr gefreut. Gleichzeitig verstehe ich, dass du Ruhe brauchst. Für mich wäre es wichtig, wenn wir gleich einen neuen Termin ausmachen.“ So entsteht ein Raum, in dem beide Bedürfnisse ausgesprochen werden können. Ihre eigene Sehnsucht nach Verbindlichkeit und die Selbstfürsorge der Freundin.

    Was eine Kränkung so schmerzhaft macht

    Kränkungen sind subjektive Notsituationen. Sie lösen starken Stress aus, unterbrechen den Kontakt zu uns selbst und erschweren ein angemessenes Verhalten. Während wir seelische Verletzungen  verarbeiten können, entziehen Kränkungen uns die Fähigkeit zur Selbstregulation. Aus Angst vor erneuten Verletzungen ziehen wir uns zurück und schränken dadurch unsere Beziehungsfähigkeit ein. So verlieren wir zunehmend den Kontakt zu uns selbst und zu anderen.

    • Gefühle wie Wut, Scham, Angst oder Ohnmacht sind gegenwärtig
    • Körper und Nervensystem reagieren mit Anspannung, Druck, Erstarrung oder innerer Leere.
    • Gedanken kreisen: „Ich bin nicht gut genug“, „Immer passiert mir das.“

    Kränkungen haben schwerwiegende Folgen. Werden sie nicht verarbeitet, können sie sich festsetzen und unser seelisches und körperliches Wohlbefinden nachhaltig beeinträchtigen. Chronische Kränkungen sind ein Risikofaktor für Depressionen, Angststörungen und psychosomatische Beschwerden.

    Unsere innere Grenze stärkt

    Ob uns eine Situation stark kränkt oder nicht, hängt weniger vom äußeren Geschehen ab als von unseren inneren Grenzen. Dazu gehören die Fähigkeit, zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu unterscheiden, sowie die klare Trennung von Ich und Du.

    Je instabiler diese Grenzen sind, desto ausgelieferter sind wir alten, unverarbeiteten Stresserfahrungen und geraten leicht in einen Strudel aus überwältigenden Emotionen. Sind unsere Grenzen stabil, bleibt unser Selbstwert unberührt. Wir können uns klar abgrenzen und angemessen verteidigen.

    Sind die Grenzen dagegen brüchig, nehmen wir vieles persönlich. Kritik, Abwertungen oder Unachtsamkeit treffen ungefiltert unser Innerstes. Alte Gefühle und Glaubenssätze werden sofort reaktiviert.

    Eine klare innere Grenze bedeutet, die Gegenwart von der Vergangenheit zu unterscheiden, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und den eigenen Wert nicht infrage zu stellen. So können wir unser Verhalten flexibel der jeweiligen Situation anpassen.

    Grenzen sind dabei mehr als ein Nein. Sie sind die Balance zwischen Nähe und Distanz. Gesunder Abstand bedeutet, nicht in Verstrickungen zu verharren, sondern die Wahl zu haben: bleiben und gestalten oder gehen. Manchmal ist ein Beziehungsabbruch der konsequenteste Selbstschutz. Entscheidend ist, dass er aus Klarheit geschieht und nicht aus Erstarrung, Kränkung oder Rache.

    Vom Schutzpanzer zum Schutzraum

    Viele Menschen entwickeln nach wiederholten Kränkungen einen inneren Schutzpanzer, der sich in einer Abspaltung vom Körper zeigt. Sie halten andere auf Abstand, wirken kühl oder im Gegenteil überangepasst. Dieser Panzer schützt vielleicht kurzfristig, kostet jedoch Lebendigkeit und verhindert echte Nähe.

    Um uns vor Kränkungen zu schützen, brauchen wir keinen Panzer, sondern einen Schutzraum. Das bedeutet: flexible und spürbare Grenzen, die Nähe erlauben und gleichzeitig Schutz bieten. Dafür sind eine stabile Selbstregulation und ein gesunder Selbstwert notwendig. So finden wir einen souveränen Umgang, wenn wir mit Verletzungen konfrontiert sind.

    Selbstregulation beschreibt die Fähigkeit, zwischen Anspannung und Entspannung zu balancieren. Sie zeigt sich darin, Gefühle wahrzunehmen, ohne von ihnen überwältigt oder abgeschnitten zu sein.

    • Bei stabiler Selbstregulation können wir auch mit intensiven Emotionen präsent bleiben.
    • Bei schwacher Selbstregulation wirken Gefühle überwältigend oder bedrohlich. Wir spalten sie ab oder reagieren impulsiv.

    Kränkungen sind schwer auszuhalten, weil sie alte Verletzungen berühren und unser Nervensystem in Alarmbereitschaft versetzen. Selbstregulation zu stärken heißt, sich diesen Gefühlen Schritt für Schritt und in einem sicheren Rahmen zu nähern. So können wir den Schmerz verarbeiten, uns wieder im Körper verankern und dem Leben mit mehr Offenheit begegnen.

    Häufige Fragen zu Kränkungen

    Eine Kränkung ist eine seelische Verletzung, die unseren innersten Kern betrifft. Sie erschüttert unser Selbstwertgefühl und führt zu starken emotionalen Reaktionen.

    Indem man alte Verletzungen erkennt, zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheidet und die Fähigkeit zur Selbstregulation stärkt.

    Weil sie unbewusste alte Erfahrungen berühren, in denen wir uns abgelehnt oder unwichtig gefühlt haben.

    Stabile Grenzen schützen unser Selbstwertgefühl, ermöglichen Klarheit und verhindern, dass alte Verletzungen aktuelle Situationen dominieren.

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