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DER STRESSORBASIERTE ANSATZ IN DER PSYCHOTHERAPIE 

BELASTENDE LEBENSERFAHRUNGEN ALS URSACHE SEELISCHEN UND KÖRPERLICHEN LEIDS

Der stressorbasierte Ansatz (nach Thomas Hensel, Psychotraumatologe) bietet ein neues und umfassendes Behandlungsmodell an, um dysfunktionale Bewältigungsmenchanismen zu lösen. Für die therapeutische Arbeit bedeutet dies, dass nicht nur die biografischen Belastungserfahrungen im Fokus stehen, sondern:

  • die subjektiv bedeutsamen Stressoren (dysfunktional gespeicherte Erinnerungen)
  • Symptomatik (die Kompensationsmuster von Stress bzw die dysfunktionalen Regulationsversuche des Organismus)
  • Trigger (reizähnliche Eindrücke in der Gegenwart, die auf frühere Belastungen zurückgehen)

Belastende Lebenserfahrungen sind die wichtigste Ursache psychischer und körperlicher Schädigungen sowie sozialen Beeinträchtigungen. Jede belastende Kindheitserfahrung, die nicht bewältigt werden kann, begünstigt die Entwicklung lebenslangen seelischen Leids.

Dabei handelt es sich in der Praxis weniger um die in der Gesellschaft (und leider auch Therapie) oft mit Trauma verbundenen Schocktraumata, wie Krieg, Unfälle, Verlust, … sondern um die viel weiter verbreiterten Entwicklungstraumata.

Ein Entwicklungstrauma ist synonym mit dem Begriff der Bindungsstörung. Es handelt sich dabei um die chronische Missachtung und Vernachlässig von Grundbedürfnissen in der Kindheit durch eine fehlende nähernde und sichere Beziehung zu einer Bezugsperson. Gefühlskälte, Ignoranz, Abwertung, kranke Eltern, fehlende oder falsche Spiegelungen, insbesondere in den ersten drei Lebensjahren, hemmen die natürliche Entfaltung eines Kindes und führen zu einer chronischen Dysregulation > Selbstregulationsstörung.

DAS STRESSORNETZWERK

Stressoren lösen eine Stressreaktion aus. Die äußere oder innere Anforderung kann nicht mehr bewältigt werden und wird als überfordernd, bedrohlich oder unkontrollierbar empfunden.

Im Sinne des stressorbasierten Ansatzes entstehen die subjektiv bedeutsamen Stressoren aus (meist frühen) Belastungserfahrungen. Die Belastungserfahrung kann nicht vollständig verarbeitet werden und führt zur einer dysfunktional gespeicherten Erinnerung, die damit zu einem Stressor wird. Durch die fehlenden Bewältigungsstrategien kommt es zu einer dysfunktionalen Verarbeitung > Überlebensstrategie.

Das Stressornetzwerk ist unsere integrierte Gedächtnisstruktur, wie wir Situationen wahrnehmen, beurteilen und bewältigen. Darin zeigt sich unsere biografische Primärerfahrungen, unsere Kompensation durch Symptome und unsere Trigger. Wird ein Stressor berührt, entstehen akute Belastungsgefühle mit den dazugehörenden Emotionen des Kontrollverlusts, Ohnmacht, Angst, Scham, Schuld.

Das Ziel des stressorbasierten Ansatzes ist, die individuellen Stressoren zu erkennen und den Prozess der Gedächtnisrekonsolidierung anzustoßen. Die Gedächtnisrekonsolidierung ist ein natürlicher neurobiologischer Selbstheilungsprozesss, der in der Wissenschaft noch recht jung ist.

Der Stressorbasierte Ansatz bietet daher im Unterschied zum Extinktionslernen die Überschreibung dysfunktional gespeicherter Erinnerungen und ermöglicht somit eine schnelle Symptomreduktion sowie ein neues Verhalten und Erleben – der Prozess der Gedächtnisrekonsolidierung. Das Rückfallrisiko ist gering.

Die neueren Forschungen zeigen, dass das Gehirn bis ins hohe Alter fähig ist sich zu verändern und belastende Erfahrungen „neutralisiert“ werden können, so dass sie keine Stressreaktion mehr auslösen. Die Erinnerung als solches bleibt natürlich bestehen und man kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber die emotionale Verarbeitung ist eine andere. Es ist beispielsweise eine vollständige Löschung einer Angstreaktion möglich. „Das als Introjekt gespeicherte Trauma ist reversibel.“ (Dr. med. Ero Langlotz)

Mit den Online-Autonomie-Aufstellungen werden in jeder Arbeit unterschiedliche Elemente des Stressornetzwerkes auf singuläre Erfahrungsmonente fokussiert und der Stress nachverarbeitet. 

TRAUMA & STRESS

Wichtig für den stressorbasierten Ansatz in der Psychotherapie ist das Verständnis, dass Trauma und Stress sich nur in der Schwere der unmittelbaren Einwirkung unterscheiden, nicht in den Auswirkungen auf den Organismus.

Traumatische Erfahrungen sind unverarbeiteter Stress, die in der Gegenwart immer wieder getriggert werden können und Stressreaktionen auslösen. Sie sind gespeichert im limbischen System unseres Gehirns. Dazu zählen kollektive Erfahrungen, transgenerationale Erfahrungen und individuelle Stresserfahrungen. Unser Gehirn ist überfordert und kann die Verarbeitung nicht vervollständigen. Daher wird der Fokus im therapeutischen Arbeiten auf die Nachverarbeitung von Stress gelegt, um die Dysregulation des Körpers wieder in die Selbstregulation zu bringen.

Mit einer gesunden Selbstregulation sind wir wieder in der Lage, Belastungen zu bewältigen und das innere Erleben von Ruhe, Stabilität und Lebendigkeit zu spüren.

Der Psychotherapeut Thomas Hensel mit dem Schwerpunkt Psychotraumatherapie mit Kindern und Jugendlichen beschreibt den innenpsychischen Konflikt: „Traumatisierungen und Stressbelastungen schreiben sich via epigenetischer Regulationsmechanismen in die körperliche und durch emphatische Einfühlung in die seelische Struktur ein. Im Dienste des Überlebens und der Bewältigung passt sich der Organismus an die Extremsituation an, die Belastung wird soweit möglich kompensiert.“

Diese stressorkompensatorischen Schemata, auch Überlebensstrategien, sind dysfunktionale Bewältigungsstrategien, die auf Dauer zu einer sozialen, emotionalen und kognitiven Beeinträchtigung führen. Klienten sprechen häufig davon, nicht mehr sie selbst zu sein, zu emotional zum reagieren, Gedankenkreisen, unter Druck zu stehen, Perfektionismus, Erschöpfung, Schuldgefühlen, Selbstabwertung, sich nicht abgrenzen zu können oder von Symptomen wie Alkohol- und Drogenkonsum, schwieriges Essverhalten, etc. oder psychosomatischen Symptomen.

Überlebensstrategien sind hoch stressgeladen, führen zur Selbstentfremdung, bringen seelisches und körperliches Leid mit sich und schränken die eigene Freiheit und das Freiheitsempfinden massiv ein. Wir können mit Überlebensstrategien überleben, aber nicht aus vollem Herzen leben. Daher sind die uns am Leben hindernden Stressoren auch als Impuls zu sehen, diese zu bearbeiten, sich zu befreien und daran zu wachsen.

ERKENNTNISSE DER EPIGENETIK FÜR DIE ARBEIT MIT PSYCHISCHEN LEID 

Bedeutend für psychotherapeutische Prozesse sind die neusten Forschungen der Epigenetik. Entgegen der allgemeinen Auffassung, dass psychische Störungen vererbbar sind, weiß man heute, dass dies nicht richtig ist. Die Forschungen der Epigenetik zeigen, dass belastende Lebenserfahrungen und unsere genetische Ausstattung verantwortlich für unsere stressregulierenden Ressourcen sind.

Traumatischer Stress in der Kindheit (weniger im Erwachsenenalter) führt zu einer hohen Ausschüttung von Stresshormonen in hoher Konzentration, die zu einer epigenetischen Veränderung führen, d.h. einer Fehlsteuerung der Stresshormonachse.

„Die gute Nachricht ist, dass eine erfolgreiche traumpsychotherapeutische Behandlung zwar nicht die Sequenz des Genom verhindert, wohl aber heilend bis in die epigenetischen Mechanismen der Stressregulierung und die Reparatur der DNA hineinwirkt.“ (Morath, 2014).

Daraus folgend muss das Ziel sein, den Stress durch die belastenden Lebenserfahrungen nachzuverarbeiten und zu integrieren. Das gilt für alle Symptome und nicht wie bisher angenommen nur für bestimmte psychische Störungsbilder.