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Inneres Kind befreien statt heilen

    Befreiung statt Heilung – Ein neuer Blick auf das innere Kind

    Wer sich mit Psychotherapie beschäftigt oder sich für seelische Heilung interessiert, begegnet früher oder später dem Konzept des inneren Kindes. Es ist längst nicht mehr nur ein Fachbegriff, sondern über Ratgeberliteratur und soziale Medien zu einem festen Bestandteil populärer Selbsthilfekultur geworden.

    Ursprünglich stammt die Idee aus der Transaktionsanalyse nach Eric Berne. Später griff die Schema-Therapie dieses Konzept auf und entwickelte verschiedene sogenannte Kind-Modi, etwa das verletzliche, das ärgerliche oder das undiszipliniert-impulsive Kind. Ziel war es, diesen Anteilen durch innere Fürsorge zu begegnen, sie sozusagen „nachzubeeltern“. Vor allem durch den Trend zur Selbstheilung wurde das Bild des verletzten inneren Kindes mit der verlockenden Vorstellung populär: Heile dein inneres Kind, und du wirst frei.

    Ein fragliches Heilungsversprechen

    So einleuchtend und berührend diese Idee auch klingt, meine therapeutische Erfahrung zeigt ein anderes Bild. Das Konzept vom verletzten inneren Kind birgt Risiken. Es beginnt bereits mit der Annahme, dass wir – obwohl wir erwachsen sind – noch die Fürsorge erhalten könnten oder sollten, die uns als Kind gefehlt hat. Doch das ist nicht die Realität. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen und wir sind heute nicht mehr das Kind, das wir einmal waren.

    Das Bild des verletzten inneren Kindes hält uns in der Vergangenheit fest. Mit großem Aufwand wird versucht, etwas zu heilen, das in der Vergangenheit nicht mehr korrigierbar ist. Stattdessen sollten wir daran arbeiten, dass das Erlebte als vergangen empfunden wird, Teil unserer Lebensgeschichte wird und mit gesundem emotionalem Abstand betrachtet werden kann. Nur so können wir beginnen, im gegenwärtigen Moment zu leben.

    Was wir fühlen, ist nicht vorbei

    Was uns im Alltag triggert, sind alte emotionale Reaktionen, die im limbischen System gespeichert sind. Nicht verortet als Erinnerung, sondern als gegenwärtige Bedrohung. Deshalb verschwimmen in belastenden Momenten die Grenzen zwischen damals und heute, zwischen dem Kind von früher und dem erwachsenen Menschen im Jetzt. Wir fühlen uns wie früher, obwohl wir längst ein anderes Leben führen.

    Bleiben wir bei der Idee des verletzten inneren Kindes, dass geheilt werden muss, können wir sehr alt werden und emotional immer noch ein Kind sein. Das ist tragisch, denn man bleibt gefühlt in der kindlichen Abhängigkeit und es können schwer gesunde Abhängigkeiten auf der Erwachsenenebene eingegangen werden. Wir riskieren, dass sich unsere Biografie immer wieder wiederholt. Wir bleiben im Alten verhaftet, statt neue Erfahrungen zu machen.

    Inneres Kind befreien: Eine neue therapeutische Perspektive

    In der Vergangenheit gibt es nichts zu holen, nichts zu kontrollieren, nichts zu verändern. Aus meiner Sicht ist es essenziell, sich von dieser Illusion zu lösen. Übertragen auf die Metapher des verletzten inneren Kindes bedeutet das, dass es nicht geheilt werden kann und auch nicht geheilt oder nachbeeltert werden muss. Statt um Heilung geht es um Befreiung. Das ist ein fundamentaler Perspektivwechsel.

    In dieser neuen Sichtweise ist es zentral, den kindlichen Anteil emotional aus der Vergangenheit zu lösen und ihn sicher in der Gegenwart zu verankern. In modernen Verfahren wie EMDR oder Brainspotting geschieht dies über den Prozess der Gedächtnisrekonsolidierung. Ziel ist es, die emotionale Verknüpfung mit der belastenden Erfahrung zu löschen, sodass sie im Heute nicht mehr getriggert werden kann. Die Erinnerung bleibt, manchmal wird sie sogar klarer, doch sie verliert ihre emotionale Ladung. Die Vergangenheit hat keine Macht mehr über das Jetzt.

    Für die gezielte Umsetzung dieses Prozesses arbeite ich mit Online-Autonomie-Aufstellungen, kombiniert mit körperorientierter Psychotherapie und Gestalttherapie. Dieser integrative Ansatz ermöglicht es, alte emotionale Prägungen nachhaltig zu entkoppeln und im heutigen Leben wieder handlungsfähig zu werden.

    Wir sind auf Gegenüber angewiesen

    Als soziale Wesen sind wir auf andere Menschen angewiesen, um uns zu entwickeln und innere Muster zu verändern. Die Vorstellung, traumatische Erfahrungen allein durch Selbsthilfebücher aufzulösen, greift zu kurz und ist kontraproduktiv. Alles allein schaffen zu müssen, ist selbst Teil einer Überlebensstrategie und wird dadurch noch befeuert.

    Die inneren Verstrickungen sind oft so komplex, dass es einen klaren, einfühlsamen Blick von außen braucht. Gerade deshalb braucht es Mut, sich in Beziehung zu begeben, Halt zu erleben und neue Erfahrungen zu ermöglichen.

    Ankommen im Hier & Jetzt

    Die innere Kind befreien ist eine Entscheidung und eine emotionale Herausforderung. Wer diesen Weg geht, kann sich von alten Verstrickungen, falschen Loyalitäten, Identifikationen und destruktiven Abhängigkeiten lösen. Wer sein inneres Kind befreien möchte, braucht keine idealisierte Nachbeelterung, sondern einen sicheren Weg ins Hier und Jetzt mit der Wahlfreiheit eines Erwachsenen.

    Denn nur in der Gegenwart kann echte Veränderung geschehen. Nicht im Rückblick, nicht in der Hoffnung auf Wiedergutmachung. Die innere Freiheit beginnt dort, wo wir aufhören, uns als das verletzte Kind zu verstehen und beginnen, als autonome Erwachsene jetzt zu leben.

    Häufige Fragen zum inneren Kind

    Statt zu versuchen, das innere Kind rückwirkend zu heilen, geht es darum, den kindlichen Anteil emotional aus der Vergangenheit zu lösen und sicher in der Gegenwart zu verankern – ein Perspektivwechsel hin zur inneren Autonomie.

    Das Bild des verletzten inneren Kindes kann dazu führen, in alten Abhängigkeiten zu bleiben. Es fördert die Illusion, dass frühere Defizite nachträglich geheilt werden können – statt sich im Hier und Jetzt zu verankern.

    Dr. Julia Belke kombiniert Online-Autonomie-Aufstellungen mit körperorientierter Psychotherapie, Gestalttherapie zur Befreiung des kindlichen Selbst und Löschung von Stressoren.