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Psychosomatik & Gestalttherapie

    „NICHT WIR HABEN EINEN KÖRPER, SONDERN WIR SIND EIN KÖRPER“

    Die Psychosomatik ist ein ganzheitlicher Ansatz und interdisziplinäres Fachgebiet, das den Einfluss psychischer und sozialer Faktoren auf den Körper untersucht. Das ganzheitliche Verständnis der Gestalttherapie umfasst Körper, Geist und Seele und ist von den Grundzügen her schon eine psychosomatisch orientierte Therapie. Für die gestalttherapeutische Arbeit bedeutet dies: „Nicht wir haben einen Körper, sondern wir sind ein Körper“.

    Aus gestalttherapeutischer Sicht sind psychosomatische Symptome als Kontaktprobleme zu verstehen. Äußere Konflikte oder schwierige Gefühle werden vermieden bzw. verdrängt und zeigen sich dann in körperlichen Symptomen. Die Selbstwahrnehmung wird herabgesetzt und die Einheitlichkeit von Gefühl und Körpersymptom nicht mehr gespürt. Ziel des psychotherapeutischen Prozesses ist die Rückführung der körperlichen Symptome in die emotionalen Begleitwahrnehmungen, um den Kontakt vollständig zu erleben und die offene Gestalt zu schließen.

    Psychosomatische Symptome sind ein verstecktes Kommunikationsangebot des Klienten und weisen auf unausgesprochene innere Konflikte hin. Der Therapeut hat die Aufgabe eines Übersetzers für diesen sprachlosen Raum. Wesentlich sind das Verständnis für den Sinn der psychosomatischen Erscheinung vor dem Hintergrund der Lebenssituation des Betroffenen und das Erkennen des dysfunktionalen Kontaktmusters.

    WEGWEISER FÜR DIE PSYCHOSOMATIK: RETROFLEKTION UND INTROJEKTE

    Die gestalttherapeutische Diagnostik ist prozessorientiert und richtet den Blick auf die Kontaktfunktionen. Die beiden  Kontaktfunktionen, Retroflektion und Introjektion, sind für psychosomatische Symptome die Wegweiser. Eine Retroflektion richtet die Energie gegen sich selbst anstatt auf das Gegenüber. Ein Introjekt ist etwas Ich-Fremdes, wie beispielsweise ein Glaubenssatz.

    Aus Sicht der Gestalttherapie handelt es sich bei psychosomatischen Symptomen beispielsweise um eine chronisch dysfunktionale Retroflektion, d.h. Bedürfnisse oder eine gesunde Abgrenzung werden nicht ausgedrückt und die Energie richtet man dann gegen sich selbst. Die aktive Zurückhaltung ist der Widerstand gegen den spontanen Ausdruck.

    Retroflektive Impulse können erkannt werden zBsp.

    • an gespannten Armen und Fäusten
    • verkrampften Kiefer
    • Zähneknirschen
    • Magenkrämpfe

    Zahlreiche psychosomatische Symptome kommen in dieser Form der Bewegungsumkehrung zum Ausdruck. Jede Retroflexion impliziert eine Spaltung der Lebensfunktionen des Betroffenen in entgegengesetzte Kräfte, d.h. in Polaritäten. Die Folgen der Spaltung oder Hemmung sind Selbsthass, Selbstmitleid, gierige Selbstausbeutung oder Selbstaggression.

    Bei einem depressiven Psychosomatiker führt die Depression zu:

    • einer körperlichen Verlangsamungserscheinung
    • Verstopfung
    • Schweregefühl
    • Vergangenheitsfixierung
    • Verharren oder Festhalten an unabgeschlossenen Erlebnissen aus der Vergangenheit
    • Aggression

    Die Impulse und Bedürfnisse werden vom Klienten zurückgehalten und statt auf das Umweltfeld gegen den Organismus selbst gerichtet. Die psychosomatische Beschwerden als Folge der retroflexiven Hemmung sind Erschöpfung, Lustlosigkeit, Selbstvorwürfe.

    Bei funktionellen Störungen reagiert ein Klient nach einem Streit beispielsweise mit Bauchschmerzen. Er nimmt in seinem eigenen Erleben keine psychischen Beschwerden wahr, sondern leidet „nur“ unter den körperlichen Symptomen. Dem Klienten ist jedoch in diesen Momenten der Zusammenhang zwischen seiner nicht ausgedrückten Wut während des Streits und den folgenden Bauchschmerzen nicht bewusst. Die Wut wird retroflektiert und die Energie gegen sich selbst gerichtet.

    Im Falle eines Introjekts steht der eigenen Wut beispielsweise der Glaubenssatz „Man darf nicht wütend sein“ unbewusst oder bewusst entgegen und verhindert einen adäquaten spontanen Ausdruck. Introjektionen sind die Übernahme von Fremdem ohne Prüfung oder Verarbeitung durch den Organismus. Der Klient vermeidet das Zulassen seiner Bedürfnisse, die als offene Gestalten unabgeschlossen im Organismus „hängen“ bleiben. Für die gestalttherapeutische Arbeit bedeutet dies offene Gestalten zu erkennen, die individuellen Zusammenhänge des Klienten Schritt für Schritt aufzudecken, Kontakt herzustellen und zum Ausdruck zu bringen.

    Wo Symptom war, soll Interaktion werden, wo Interaktion ist, kann Inszenierung werden, wo Inszenierung ist, kann lebendige Beziehung werden.

    THRERAPEUTISCHE PRAXIS: AWARENESS IM HIER&JETZT

    Die phänomenologischen Wurzeln der Gestalttherapie eröffnen einen Zugang über das Fühlen zum ganzheitlichen Erleben. Das Gefühl ist die wichtigste Brücke zwischen seelischen und körperlichen Empfindungen. Die Einbeziehung der Körperebene erfolgt in der gestalttherapeutischen Arbeit mittels Awareness = Bewusstheit ausweiten. Die fokussierte Wahrnehmung verbindet die bewusste Wahrnehmung sowohl körperlicher, emotionaler wie auch geistiger Prozesse. Sie ist ein direkter Erlebniszugang zum Zusammenhang zwischen Gedankenmustern und vegetativen Ereignissen wie bsp Schmerzzustände, Atemmuster und begleitende Gefühle. Die Pendelbewegung der fokussierten Wahrnehmung zwischen kognitiver und emotionaler Ebene wirkt integrativ auf die Körper-Seele-Geist Einheit. 

    Die psychische Erarbeitung der körperlich-seelischen Zusammenhänge kann nur über das Erleben erfolgen, über die Erfahrung im Hier & Jetzt im Kontakt zum Therapeuten und der Wahrnehmung des eigenen Körpers. Wenn ein Klient von einem vergangenen Erlebnis aus der Kindheit berichtet und eine verkrampfte Körperhaltung einnimmt, fördert die Gegenwartszentrierung das bewusste Erleben seiner Anspannung im Hier & Jetzt. Der Therapeut kann den Klienten durch Awareness anleiten, seine passive Verkrampfung in eine lebendige Spannung umzuwandeln, um die dahinterliegenden Gefühle in ausdrucksstarke Handlungen zu überführen. Ziel ist das Erlebbarmachen der inneren Konflikte und Gestalten zu schließen.

    Die therapeutische Arbeit mit psychosomatischen Klienten muss sehr behutsam erfolgen, um mögliche Retraumatisierungen durch einen zu voreiligen emotionalen Ausdruck zu verhindern. Bei Traumatisierungen ist die Pendelbewegung zwischen „Darüberreden“ und emotionalen Ausdruck besonders wesentlich. Traumatisierungen vor dem 2./3. Lebensjahr werden nur atmosphärisch über das Körpergedächtnis leiblich erinnert. Ziel ist hier die Umwandlung in symbolische oder verbale Ausdrucksformen.

    Psychosomatische Klienten wecken in der vegetativen Gegenübertragung häufig Gefühle des Ärgers, d.h. der Therapeut fühlt in abgemildeter Form, was der Klient gerade fühlt. Die therapeutische Konfluenz kann vom Therapeuten eingesetzt werden, indem er seine Gefühle ausdrückt und den Klienten bei der Versprachlichung des körperlichen Symptoms unterstützt. Die Arbeit mit psychosomatischen Klienten ist häufig eine Geduldsarbeit und erfordert vom Therapeuten neben der praktischen Erfahrung ein hohes Maß an Selbsterfahrung.

    In der gestalttherapeutischen Arbeit stehen viele verschiedene Interventionen zur Verfügung um innere Konflikte erlebbar zu machen, wie bsp. Technik des „leeren Stuhls“, Identifikation, Psychodrama und kreativen Methoden aus der Kunst-, Körper- und Musiktherapie. In der Arbeit mit psychosomatischen Klienten ist auf den zu frühen Einsatz von Entspannungstechniken zu achten, da die Spannung erst einmal bewusst wahrgenommen werden soll. Durch zu intensive Entspannungsübungen entsteht die Tendenz, die Spannung wegzutrainieren und nicht mehr zu spüren.

    Aufgrund der ganzheitlichen Perspektive und der Analyse der Kontaktfunktionen bietet die Gestalttherapie ein gutes Verständnis für das Ineinanderwirken von Psyche und Soma.