Traumafolgen auf Körper & Gehirn
Traumatische Erlebnisse wirken tief in den Körper und das Gehirn hinein. Während Stresssituationen in der Regel vorübergehen und der Körper in seinen natürlichen Zustand der Ruhe zurückkehren kann, bleibt ein Trauma oft als extremer Stresszustand bestehen. Der Körper trägt das Ereignis weiter mit sich, als würde es gerade jetzt passieren. Besonders nach sexuellen Übergriffen, Gewalt oder schwerer Vernachlässigung kann das Gefühl der Bedrohung anhalten – selbst wenn die eigentliche Gefahr längst vorbei ist.
Das Gehirn verarbeitet traumatische Ereignisse anders als alltägliche Erfahrungen. Im Trauma-Modus wird der präfrontale Kortex, der für rationales Denken zuständig ist, heruntergefahren. Stattdessen übernimmt das limbische System, das für Überlebensreaktionen wie Kampf, Flucht oder Erstarren verantwortlich ist. Diese Überlebensstrategien können sich als chronische Anspannung, Schlafstörungen, Flashbacks oder emotionale Taubheit äußern. Der Körper bleibt in ständiger Alarmbereitschaft, als würde die Gefahr noch immer bestehen.
Die Intensität der Traumafolgen variiert. Menschen, die emotionale Unterstützung und Schutz erhalten, können traumatische Ereignisse oft besser bewältigen als jene, die allein gelassen werden oder denen nicht geglaubt wird. In solchen Fällen kann sich die Traumatisierung sogar verstärken, da Betroffene nicht nur die ursprüngliche Erfahrung, sondern auch die Gefühle von Einsamkeit, Verlassenheit und Ohnmacht verarbeiten müssen.
Es ist jedoch ein Irrtum zu glauben, dass ein Trauma „größer“ oder „schlimmer“ sein kann als ein anderes. Jede traumatische Erfahrung ist einzigartig und hinterlässt ihre eigenen Spuren im Körper und in der Seele. Die Aufgabe der Therapie besteht darin, diesen festgefrorenen Zustand behutsam zu lösen und den Weg zurück zur Selbstregulation zu finden.
Die Reaktion des Körpers auf ein Trauma
Emotionale Spaltung oder extreme Empfindlichkeit sind zwei Reaktionen auf ein Trauma. Das ist die Art und Weise, wie sich das Gehirn organisiert. Wenn etwas passiert, aktiviert es die Kampf- oder Fluchtreaktion, aber wenn man festgehalten wird oder gefangen ist, schaltet das Gehirn ab und versucht, nichts zu fühlen. Ob man sich wehrt oder zusammenbricht, hängt natürlich von vielen Faktoren ab, vor allem aber davon, ob man in der Lage ist, etwas zu tun. Wenn man zum Beispiel Teil einer Familie ist, von der man völlig abhängig ist, lernt man, einfach nichts mehr zu fühlen, wenn in dieser Umgebung etwas passiert.
Kindheitstraumata haben besonders tiefe Auswirkungen. Erfahrungen wie Mobbing, soziale Ausgrenzung oder emotionale Vernachlässigung prägen sich in einem sich entwickelnden Gehirn stärker ein. Das kindliche Gehirn ist noch formbar und kann durch wiederholte traumatische Erlebnisse so programmiert werden, dass es ständig in Alarmbereitschaft bleibt. Der Körper bleibt auf Gefahr eingestellt, selbst wenn keine unmittelbare Bedrohung mehr besteht.
Mit zunehmendem Abstand zu der traumatischen Erfahrung und durch sichere, stabile Bindungen kann das Gehirn lernen, sich neu zu organisieren. Das Vertrauen in sich selbst und andere wird wiederhergestellt, und die Überlebensstrategien werden allmählich abgebaut. Dieser Prozess erfordert Zeit und therapeutische Unterstützung, um die traumabedingte Programmierung zu lösen und neue Reaktionsmuster zu etablieren.
Wieder im Körper ankommen
Die Auswirkungen von Traumata sind oft über Jahre hinweg im Körper gespeichert. Emotionen wie Angst, Wut oder Scham manifestieren sich als körperliche Empfindungen – ein Engegefühl in der Brust, Druck im Unterleib oder ein Kloß im Hals. Diese Empfindungen können so intensiv sein, dass Betroffene dazu neigen, sich selbst zu verletzen, um die unangenehmen Gefühle loszuwerden. Der Körper wird zum Feind, der sich fremd und unerträglich anfühlt.
Der Weg zurück ins Körpergefühl erfordert gezielte Übungen, die helfen, sich wieder sicher im eigenen Körper zu verankern. In vielen Kulturen gibt es bewährte Methoden, um Menschen nach belastenden Erfahrungen zu unterstützen: Yoga in Indien, Qi Gong in China, Kendo und Taiko-Trommeln in Japan – alles Wege, die den Körper mit sich selbst und anderen Menschen in Einklang bringen. Auch Musik, Tanz und Kampfkunst fördern das Körpergefühl und helfen, im Hier und Jetzt präsent zu bleiben.
Für traumatisierte Menschen kann es jedoch beängstigend sein, sich dem eigenen Körper zuzuwenden. Achtsamkeitsübungen sind ein kraftvolles Werkzeug, um den Geist zurückzugewinnen, indem man still wird, sich auf die Atmung konzentriert und die eigenen Gedanken beobachtet. Doch auch hier ist oft therapeutische Begleitung notwendig, um nicht von den aufsteigenden Gefühlen überwältigt zu werden.
Erster Schritt zur Traumaheilung: Die Wahrheit anerkennen
Der erste Schritt zur Traumaheilung ist, die Realität anzuerkennen und die Wahrheit auszusprechen. Es geht darum, sich selbst zu erlauben zu sagen: „Ja, das ist mir passiert. Es war schrecklich, und ich bin nicht schuld daran.“ Diese klare Benennung der Erfahrung ist essenziell, um aus der Verleugnung und Verdrängung auszusteigen.
Viele Menschen suchen therapeutische Unterstützung, um endlich das auszusprechen, was lange verborgen oder verleugnet wurde. Die Erlaubnis zur Wahrheit ist ein Akt der Selbstermächtigung – sie unterbricht das Schweigen, das das Trauma oft umhüllt, und öffnet den Raum für Heilung.
Erst wenn die Realität anerkannt wird, kann man beginnen, die inneren Verstrickungen zu lösen. Die Überlebensstrategien – wie Dissoziation, Vermeidung oder Selbstabwertung – verlieren allmählich ihre Macht. Traumaheilung bedeutet nicht, die Vergangenheit zu ändern, sondern die Auswirkungen zu verarbeiten und sich selbst zu erlauben, neu zu leben.