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Beziehungsprobleme lösen mit der gesunden Grenze

    Warum es oft nicht an der Liebe scheitert 

    Beziehungsprobleme gehören zu den häufigsten Themen in meiner therapeutischen Praxis. Klient:innen formulieren ihre Not oft so:

    • „Wenn mein Partner endlich verstehen würde, wie sehr ich ihn liebe, dann würde es funktionieren.“
    • „Ich brauche nur ein klares Commitment – dann wäre ich sicher.“
    • „Wir müssten einfach mehr miteinander reden, dann wäre alles gut.“
    • „Ich komme einfach nicht von meinem Ex los.“

    Solche Aussagen spiegeln eine tiefe Sehnsucht nach Verbindung, Sicherheit und Klarheit. Doch häufig steckt dahinter nicht nur ein Kommunikationsproblem, sondern ein Wiederholen alter Beziehungsmuster aus der Kindheit. Unsere ersten Beziehungserfahrungen prägen uns tief. Wir werden regelrecht in Beziehungsdynamiken hineingeboren, die wir später meist unbewusst reproduzieren. Zwei typische Reaktionsweisen:

    1. Wiederholung: Wir leben ähnliche, oft unglückliche oder konflikthafte Beziehungen wie unsere Eltern.

    2. Gegenteil: Wir versuchen, alles anders zu machen und sind doch innerlich weiter an die elterliche Beziehung gebunden.

    In beiden Fällen ist das Problem: Die Bezugsgröße ist nicht das eigene Selbst, sondern die unverarbeitete Vergangenheit.

    Traumatisierungen und Überlebensstrategien 

    Seelische Verletzungen aus der Kindheit, wie fehlende Liebe, mangelnde Anerkennung, emotionale Kälte oder Kontrollverhalten werden abgespalten, weil Kinder noch nicht über die Ressourcen verfügen, diese Erlebnisse zu verarbeiten. Die Folge ist eine innere Spaltung in gesunde und traumatisierte Anteile. Um den Schmerz zu überleben, entwickeln Kinder kreative Überlebensstrategien, z. B.: Anpassung und Selbstverleugnung, Kontrolle, Dominanz oder Rückzug und übermäßige Fürsorge oder emotionale Abhängigkeit. Diese Strategien sichern das Überleben, doch im Erwachsenenalter führen sie in Beziehungen zu Problemen. Sie verhindern echte Nähe, Augenhöhe und gesunde Grenzen.

    Der Schlüssel: Die gesunde Grenze

    Beziehungsprobleme entstehen, wenn die inneren Anteile nicht integriert sind und Überlebensmuster das Verhalten bestimmen. Erst wenn:

    • eine gesunde innere Grenze aufgebaut wird
    • traumatisierte Anteile bewusst angeschaut und integriert werden
    • eigene Bedürfnisse wahrgenommen und kommuniziert werden

    … kann eine Beziehung wirklich gelingen. Dann wird der Weg frei für:

    • authentische Verbindung
    • emotionale Unabhängigkeit
    • und eine Partnerschaft auf Augenhöhe – ohne Wiederholung alter Muster.

    Anpassung als Beziehungsproblem 

    Anpassung ist ein Beziehungskiller. Gesellschaftlich ist Anpassung oft positiv besetzt. Die Personen machen keine Probleme, es gibt wenig Konfliktpotential. Sie kommen gut in Gruppen an, da sie hilfsbereit sind, gute Zuhörer, viel Verständnis haben und sich selbstlos um andere kümmern. Immer um den Preis ihrer eigenen Bedürfnisse. So stehen in Beziehungen die Bedürfnisse des Partners oder der Partnerin über den Eigenen. Die Bedürfnisse des anderen können regelrecht von den Augen abgelesen werden. Diese Form der Empathie, manchmal auch der telepathischen Fähigkeiten, wird bewusst oder unbewusst oft als moralische Überlegenheit erlebt und ist positiv besetzt.

    Wenn Einfühlungsvermögen zur Überanpassung wird

    Die Lösung für Beziehungsprobleme wird häufig darin gesehen, dass der Partner oder die Partnerin sich doch einfühlen sollten wir man selbst. Doch genau das ist die Fehlannahme und das eigentliche Problem. Es kommt zur Überanpassung, welche ein Aspekt eines destruktiven Symbiosemusters ist. Die notwendige Grenze zwischen Paaren verschwimmt. Die Verbindung zum Eigenen geht verloren, man verliert an Identität und an Attraktivität. Man ist mehr in dem Raum des anderen Zuhause als bei sich selbst, d.h. man kennt sich beim anderen besser aus als bei sich selbst. 

    Die eigenen Bedürfnisse geraten immer mehr in den Hintergrund. Oft werden auch die Meinungen und Vorstellungen des anderen übernommen ohne den eigenen Standpunkt zu kennen oder zu vertreten. Die Aufmerksamkeit liegt mehr beim anderen, was die Person tut oder nicht tut, was sie denkt, fühlt oder braucht. Man ist schwer in der Lage sich abzugrenzen oder auch andere zu enttäuschen. Schuldgefühle sind keine Seltenheit. Es ist schwierig eigene Entscheidungen zu treffen und wegen Kleinigkeiten wird lange gegrübelt. Der innere Kompass und die Selbstverbindung gehen verloren. Damit wird man emotional abhängig, was auf Dauer unweigerlich zu Beziehungsproblemen führen muss. Oder man gibt sich selbst auf und bleibt im Modus der Anpassung zum Erhalt der Beziehung – mit dem Preis des Selbstverlusts. Vielleicht herrscht auch der Glaube, wenn man sich nur noch mehr anstrengt, lieb und nett ist, dann müsste mein Gegenüber doch sehen, was er oder sie an mir hat. Eine Begegnung auf Augenhöhe wird damit ausgeschlossen.

    Destruktive Beziehungsdynamiken

    Die destruktiven Beziehungsdynamiken entstehen durch die unzureichende emotionale Autonomieentwicklung, deren Grundsteine in den frühen Beziehungserfahrungen gelegt werden. Emotionale Leere und Kälte, überforderte Eltern, Verlusterfahrungen, existentielle Nöte, Gewalt, Missbrauch, Familiengeheimnisse und übernommene Traumata aus früheren Generationen prägen das eigene Beziehungserleben und -verhalten.

    Angst sich einzulassen und zu öffnen, Angst sich jemanden wirklich anzuvertrauen, Sucht nach der Liebesbestätigung durch andere, Verlustängste, übersteigerte Erwartungen an Beziehungen, Nicht-Loslassen-Können, Kontrollsucht führen zu Beziehungsproblemen, die die Folge einer mangelnden Autonomieentwicklung ist.

    Beziehungsprobleme lösen mit mehr Autonomie 

    Autonomie ist ein wichtiger Entwicklungsschritt, um Beziehungsprobleme zu lösen. Indem man aus dem Anpassungsverhalten aussteigt und eine gesunde Verbindung zu sich selbst aufbaut. Es ist der Zugang zur eigenen inneren Stärke, Kraft und Zuversicht. Je stärker das eigene Autonomieerleben ist, desto stärker ist das Vertrauen in sich selbst und die Selbstwirksamkeit. 

    Autonomie heißt, sich gut abgrenzen können, Nein-sagen zu können, sich zu trennen und sich überhaupt auf eine Beziehung einlassen zu können. Es bedeutet auf eine gesunde Art und Weise Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und sich selbst und anderen mit Würde, Achtung und Respekt zu begegnen. In der Beziehung bleibt man sich selbst treu und kann Grenzen setzen und Grenzen achten. In der Begegnung auf Augenhöhe herrscht eine gesunde Balance zwischen Nähe und Distanz und Kooperationen sorgen dafür, das Bedürfnisse aller Beteiligten ihren Platz bekommen. 

    Die Fähigkeit der Autonomie mit der damit verbundenen Grenze bedeutet nicht, dass wir uns anderen Menschen gegenüber verschließen, sondern genau das Gegenteil. Wir bleiben offen für andere Menschen, genauso wie für uns selbst.