Entwicklung zur Autonomie
Ein zentrales Anliegen vieler Klient:innen in meiner Praxis ist die Sehnsucht nach Autonomie. Sie äußert sich in Aussagen wie: „Ich möchte ich selbst sein.“, „Ich will mit mir verbunden sein.“, „Ich suche mein eigenes Leben.“, „Ich wünsche mir eine Beziehung auf Augenhöhe.“, „Ich will frei sein – ohne Symptome, ohne inneren Kampf.“ All diese Wünsche spiegeln den tiefen Impuls wider: selbstbestimmt leben, frei fühlen und in gesunden Beziehungen verbunden sein.
Mein Verständnis von Autonomie beruht auf langjähriger therapeutischer Erfahrung, persönlicher Entwicklung und fundiertem Wissen aus der humanistischen Psychotherapie, Bindungsforschung, Entwicklungspsychologie, Neuroimmunologie und Epigenetik.
Autonomie bedeutet, sich selbst spüren, sich abgrenzen können, Verantwortung für das eigene Leben übernehmen und dabei in lebendigem Kontakt mit anderen bleiben. Die Online-Autonomie-Aufstellung bietet einen klaren, strukturierten Weg, diese innere Entwicklung konkret zu fördern.

Was bedeutet Autonomie?
Autonomie ist die Fähigkeit, nach eigenen inneren Maßstäben zu leben, sich selbst zu regulieren und dabei konstruktive Beziehungen auf Augenhöhe zu gestalten. Sie ist kein Zustand, sondern ein lebenslanger Entwicklungsprozess – bereits im Säuglingsalter sichtbar. Auch wenn ein Kind abhängig ist, gestaltet es von Anfang an aktiv die Beziehung mit: durch Blickkontakt, Zuwendung oder Abwenden. Eine feinfühlige, abgestimmte Interaktion mit der Bezugsperson bildet die Basis für eine gesunde Ich-Entwicklung.
Autonomie zeigt sich, wenn ein Mensch:
- ein klares Ja und Nein setzen kann
- sich selbst reguliert (Gefühle, Anspannung, Entspannung)
- emotionale Abhängigkeiten erkennt und löst
- sich abgrenzen kann – ohne Schuldgefühle
- gesunde Nähe-Distanz-Regulation lebt
- zwischen Ich und Du, Vergangenheit und Gegenwart unterscheidet
- gesunde Aggression ausdrücken kann
- Verantwortung für das eigene Leben übernimmt
- den anderen in Entscheidungen mitdenkt (Win-Win-Prinzip)
Autonomie bedeutet nicht, unabhängig im Alleingang zu leben, sondern sich selbst treu zu bleiben und gleichzeitig in echter Verbindung mit anderen zu stehen.
Pseudoautonomie vs. Autonomie – was unterscheidet sie?
Autonomie wird oft mit Unabhängigkeit gleichgesetzt, doch nicht jede Form von Abgrenzung ist Ausdruck echter Selbstbestimmung. Häufig handelt es sich um Pseudoautonomie: eine scheinbare Unabhängigkeit, die nicht aus innerer Stärke, sondern aus früher Überforderung und dem Mangel an emotionaler Unterstützung entstanden ist. Während echte Autonomie auf Selbstverbindung, innerer Sicherheit und dem bewussten Gestalten von Nähe und Distanz beruht, ist Pseudoautonomie eine Überlebensstrategie, die Schutz bieten soll vor emotionaler Verletzung, Ohnmacht oder dem Gefühl, ausgeliefert zu sein.
Diese Schutzform zeigt sich in Verhaltensweisen wie starker Überabgrenzung, Unnahbarkeit, dem inneren Zwang, alles alleine schaffen zu müssen, sowie in emotionaler Verschlossenheit und Schwierigkeiten, Hilfe anzunehmen oder sich verletzlich zu zeigen. Beziehungen werden gemieden oder kontrolliert geführt, Nähe wird schnell als Bedrohung empfunden.
Trotz äußerer Selbstständigkeit fehlt oft die Verbindung zum eigenen Inneren. Menschen in einem pseudoautonomen Zustand spüren ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle nur eingeschränkt oder lehnen sie als „schwach“ ab. Stattdessen identifizieren sie sich stark mit äußeren Anforderungen, Erwartungen oder Rollen. Die Folge ist häufig ein tiefes Gefühl von Einsamkeit, emotionale Erschöpfung, depressive Verstimmungen oder auch eine übersteigerte Haltung von Unabhängigkeit und Überlegenheit, die vor dem inneren Mangel schützen soll.
Echte Autonomie hingegen ist keine Abgrenzung gegen andere, sondern ein inneres Fundament, das es ermöglicht, in Beziehung zu gehen, ohne sich selbst zu verlieren und allein zu sein, ohne sich zu isolieren.
Entwicklungstrauma – Hemmung der Autonomiebestrebung
Entwicklungsblockaden oder Entwicklungsstillstände können unter dem Entwicklungstrauma zusammengefasst werden. Ein Entwicklungstrauma beschreibt emotionale Verletzungen in der frühen Kindheit, die nicht durch einzelne Ereignisse, sondern durch dauerhafte Störungen in der Beziehung zur Bezugsperson entstehen. Diese Störungen hemmen die natürliche Autonomiebestrebung des Kindes.
Eltern sind oft selbst emotional belastet durch unverarbeitete Traumata, Ängste oder fehlende Empathie. Das Kind wird falsch gespiegelt, muss Erwartungen erfüllen, wird abgewertet oder über Leistung definiert. Eigene Bedürfnisse bleiben unerkannt. Der echte Kontakt fehlt.
In den ersten Lebensjahren ist das Kind auf Co-Regulation angewiesen. Ist die Bezugsperson überfordert oder emotional unzugänglich, wirkt sich das nachhaltig auf die Entwicklung aus. Studien (Brisch, 2022) zeigen: chronischer Stress in der frühen Kindheit beeinflusst das Gehirnwachstum, den Stoffwechsel und die neuronale Verschaltung.
Anders als Schocktraumata sind Entwicklungstraumata oft sehr subtil oder durch familiäre Atmosphären spürbar. Sie prägen unser Bindungsverhalten, unseren Selbstwert und unsere Fähigkeit zur Abgrenzung.
Der Weg zur Heilung führt über das Erkennen dieser Muster, über echte Selbstverbindung und das schrittweise Wiedererlangen von Autonomie.
Symbiotische Anpassungsstrategien sind Entwicklungsblockaden hin zur Autonomie
Symbiotische Anpassungsstrategien sind tief verankerte Überlebensmuster, die in der frühen Kindheit, teils sogar pränatal, entstehen. Sie trennen uns von unserem wahren Selbst und wirken wie innere Entwicklungsblockaden. Statt selbstbestimmt zu leben, funktionieren wir: im Perfektionismus, im dauerhaften Leistungsmodus oder im emotionalen Rückzug. Symbiose ist die Flucht des überforderten Kindes.
Diese Muster führen zu Selbstentwertung, innerer Unruhe, Erschöpfung, chronischem Stress und verhindern echte Selbstverbindung. Je früher sie entstanden sind, desto stärker werden sie als Teil der Persönlichkeit empfunden. Das Gefühl für den eigenen Raum, klare Grenzen oder innere Freiheit fehlt oft völlig.
Typische Muster sind:
- unbewusste Übernahme emotionaler Lasten aus der Herkunftsfamilie
- unterdrückte Aggression, die sich gegen das eigene Selbst richtet
- Anpassung & Kontrolle, um Anerkennung zu sichern
- Überabgrenzung (Pseudoautonomie) statt gesunder Abwehr
Diese Strategien dienen dem Überleben – verhindern aber Entwicklung. Der therapeutische Weg zurück zur Autonomie beginnt mit dem Erkennen, Lösen und Neuintegrieren dieser unbewussten Muster.