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Einsamkeit – Das innere Gefängnis

EINSAMKEIT IST EIN ZEICHEN, DASS ETWAS FEHLT 

Einsamkeit - Das innere Gefängnis

Einsamkeit wird oft begleitet mit Scham- und Schuldgefühlen und ist Ausdruck eines Mangels. Es mangelt an sozialen Kontakten, Aufmerksamkeit, Liebe, Bindung, Halt oder einem Ort der Geborgenheit. Niemand will dies gerne zugeben und daher wird wenig darüber gesprochen. Es wird als ein Makel empfunden und man möchte sich den Blicken anderer nicht aussetzen. Doch Scham- und Schuldgefühle führen zu noch mehr Einsamkeit. Einsamkeit sollte aus der Tabuzone geholt werden, damit ein Austausch und Wege aus der Einsamkeit gefunden werden können.

Wir alle sehnen uns nach Verbindung, sozialer Anerkennung, Eingebundensein, Zugehörigkeit, Bindung, Resonanz. Das ist grundmenschlich. Doch traumatische Erfahrungen können Gefühle der Einsamkeit, des Verlassenseins und der Leere hinterlassen. Einsamkeit zeigt sich im Verstummen in Partnerschaften, nichts mehr von sich mitteilen und nur „über“ etwas oder jemanden reden. Man bekommt kein Echo mehr und läuft mit seinen Bedürfnissen ins Leere. Häufig sind die zentralen Grundbedürfnisse in der Kindheit nicht erfüllt (worden) – nach Liebe, Resonanz, Kontakt, Vertrauen, Autonomie.

Um die innere Leere nicht zu spüren, stürzen sich Menschen in die Arbeit, konsumieren Drogen und Alkohol, entwickeln Essstörungen oder flüchten in Scheinwelten.

EINSAMKEIT FÜHLT SICH AN, WIE EIN INNERES GEFÄNGNIS 

Einsamkeit beschreiben Menschen wie ein inneres Gefängnis. Sie kommen nicht von alleine raus, wissen nicht, wie sie in Kontakt treten sollen, haben Ängste vor Ablehnung oder Enttäuschung. Einsamkeit ist ein tiefer Schmerz.

Ursachen für Einsamkeitsgefühle haben häufig einen Bezug zu unserer Kindheit. Vielleicht konnten wir uns nicht entfalten, wurden beschämt, abgewertet, haben keine Resonanz bekommen oder mussten Verluste erleben. So entwickeln sich Entwicklungstraumata mit den Folgen eines chronischen Dauerstresses. Der chronische Dauerstress führt zu seelischen und körperlichen Symptomen, die uns am Kontakt hindern.

Einsamkeit ist Ausdruck existentieller Not und enormen Stress. Die Überlebens-und Kompensationsstrategien sind keine Dauerlösung und führen uns weg von uns selbst, von Bindung und Beziehung.

Wir können nach Dr. Udo Baer verschiedene Qualitäten von Einsamkeit unterscheiden:

• Bindungseinsamkeit
• Herzenseinsamkeit
• Intimitätseinsamkeit
• Freundschaftseinsamkeit
• Kontakteinsamkeit

Bindungseinsamkeit ist Ausdruck einer Bindungsstörung, die in frühkindlichen Traumatisierungen zu finden ist. Längerfristige Bindungen sind schwer möglich und das innere Erleben begleitet eine Leere, die aus frühen Leererfahrungen bei den Bezugspersonen entstanden ist.

Herzenseinsamkeit entspringt dem Herzen und der Unfähigkeit die lebendigen, spontanen Impulse vom Herzen zum Ausdruck zu bringen. Innere Bewerter nach richtig und falsch stehen dazwischen und blockieren unser Herz. Wir haben unser Herz verschlossen aufgrund von Verlusten, Kränkungen, Verrat, Enttäuschungen und versuchen uns gegen den Schmerz zu schützen.

Intimitätseinsamkeit entsteht, wenn der intime Raum mit niemanden geteilt wird. Dazu zählt Sexualität, genauso wie unsere tiefsten Gedanken und Gefühle.

Freundschaftseinsamkeit entsteht bei mangelndem gegenseitigen Interesse. Freunde müssen sich in der Not aufeinander verlassen und vertrauen können.

Kontakteinsamkeit ist der Ausdruck fehlender zwischenmenschlicher Kontakte. Oft liegen die bereits benannten Qualitäten der Einsamkeit hinter einer Kontakteinsamkeit.

Einsamkeitsgefühle können entstehen, wenn man in seinen sozialen Beziehungen keine Erfüllung findet. Eine Person, die allein ist, muss nicht unbedingt einsam sein. Und eine Person kann einsam sein, ohne allein zu sein.

EINSAMKEIT & TRAUMA

Einsamkeit ist ein Gefühl und ein Symptom von frühen traumatischen Erfahrungen. Dabei geht Einsamkeit häufig auf ein Entwicklungstrauma zurück. Wir fühlen uns isoliert, können keine Verbindung zu Menschen spüren oder aufbauen. Das Gefühl der Zugehörigkeit fehlt und man erlebt sich als außen vor. Entstanden ist das Erleben schon als Baby, auch wenn es erst viel später für die Betroffenen zum Problem wird. Die innere Leere wird durch Überlebensstrategien schon früh kompensiert und erst wenn die eigenen Kräfte nachlassen und Beziehungen scheitern, wird das Ausmaß spürbar. Wir bauen eine Hülle unseres Selbst auf, wir spielen etwas vor, ziehen eine Maske auf. Wir können uns nicht zeigen und werden dadurch nicht gesehen, was die Einsamkeit verstärkt. Wir wissen oft auch nicht, wer wir wirklich sind, da Verletzungen den Zugang zu uns selbst versperren.

Um Kontakt zu anderen Menschen aufnehmen zu können, muss man erst mit sich selbst im Kontakt sein. Sich spüren, die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und den Körper als ein sicheres Zuhause empfinden, sind wichtige Fähigkeiten. Man braucht die gesunde Grenze und die klare Unterscheidung zwischen sich und dem anderen.

Einsamkeit macht bedürftig. Wir brauchen Aufmerksamkeit und Zuwendungen wie ein Kind, was nicht zu einer erwachsenen Person gehört und andere Menschen auf Abstand bringt. Dies kann dazu führen, immer wieder die alten Muster und verletzenden Erfahrungen von früher zu wiederholen.

VERLETZUNGEN HEILEN

Um die Verletzungen zu heilen, müssen wir uns unseren Verletzungen stellen: die Trauer über das Verlorene, das Ungelebte, die Enttäuschungen, das Unwiederbringliche. Das macht Angst. Daher hallten wir lieber an den Überlebensstrategien fest anstatt den Schmerz in unser Herz zu lassen und ihm unser Mitgefühl zu schenken.

Mitgefühl für uns selbst hilft, das verletzte Herz zu heilen. Erst wenn wir bereit sind, diesen Prozess zu gehen und den Blick auf uns selbst zu richten, können alte Wunden heilen und wir aus der Bedürftigkeit des Kindes heraustreten. Dann können wir als Erwachsene unsere Bedürfnisse achten, uns darum kümmern und die Bedürfnisse von anderen respektieren, ohne dies als Ablehnung zu erleben. Wir müssen uns bei uns selbst ankommen, unser Herz für uns selbst öffnen, um sich anderen zu öffnen und sie in unser Herz zu lassen. Das braucht Zeit, Mut und viel innere Arbeit.

SELBSTVERTRAUEN

Selbstvertrauen ist eine Basisfähigkeit, um in Kontakt zu gehen und Beziehungen aufzubauen. Entwicklungstraumata führen dazu, dass wir das Vertrauen oder die Liebe an der falschen Stelle zu suchen – im Außen. Wir vertrauen unser kindliches Selbst jemanden anderen an, wo es jedoch immer höchst unsicher ist und uns emotional abhängig macht. Auch ein Therapeut ist nicht für das kindliche Selbst zuständig. Er ist im besten Fall ein vertrauensvoller Begleiter durch den Schmerz und die Trauer. So kann ein lebendiger Kontakt entstehen und keine Abhängigkeit.

Wege aus der Einsamkeit führen über die Stärkung der Selbstverbindung, der Verarbeitung des traumatischen Stresses, dem emotionalen Loslassen an alten Erfahrungen und eigenen Überlebensstrategien. Denn nicht das Trauma hält uns gefangen, sondern wir halten am Trauma fest und verhindern den Weg für Neues.

WEGE AUS DER EINSAMKEIT – Kontakt aufnehmen

Wege aus der Einsamkeit zu finden, ist ein therapeutischer Suchprozess. Was steht dem Kontakt im Wege, was muss geheilt werden, welche Menschen oder vergangene Situationen losgelassen werden, um sich wieder Neuem zu öffnen? Was hilft aus der Erstarrung hin zu einem lebendigen Kontakt?

Um Veränderungen ins Leben zu bringen, ist der erste Schritt sich den Einsamkeitsgefühlen mit Mitgefühl zuzuwenden, sie wahrzunehmen und zu akzeptieren. Es braucht eine innere Erlaubnis, dass auch unangenehme Gefühle da sein dürfen, um den Hintergrund und die Blockaden zu erforschen.

Manchmal kann es aber auch sein, dass wir von unseren Einsamkeitsgefühlen überschwemmt werden und damit andere Menschen überschütten oder dafür verantwortlich machen. Dann gehen die Menschen auf einen gesunden Abstand, was jedoch die eigenen negativen Erfahrungen füttern kann. Wir müssen lernen, uns um uns selbst zu kümmern und die vergangenen Erfahrungen aufarbeiten, damit wir andere nicht belasten.

Negative und traumatische Erfahrungen aus früheren Beziehungen sind oft eine große Barriere für neue Beziehungen. Die Barrieren liegen in uns und daher haben wir auch die Möglichkeit, diese zu bearbeiten und loszulassen.

Um Menschen kennenzulernen, müssen wir Interesse an dem anderen signalisieren. Wenn dies auf Gegenseitigkeit trifft, kann sich eine Freundschaft entwickeln. Das braucht Zeit und Geduld.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass unsere Interesse und das Interesse eines anderen, immer ein Vorgang der Bewertung ist. Ich bewerte, wie auch der andere bewertet, ob ich JA oder NEIN sage zu einem Menschen. Das muss ich aushalten und lernen auch mit den Grenzen der anderen souverän umzugehen. Für zwischenmenschliche Beziehungen ist es wichtig das Bewerten zu lernen. Das stärkt die Selbstsicherheit und das Selbstvertrauen. Dabei ist es wichtig den Unterschied zwischen Bewerten und Abwertung zu lernen. Bewerten schärft das Eigene, den inneren Kern. Abwertung bedeutet Erniedrigung, Grenzen nicht zu respektieren, sich über andere stellen, sich moralisch überlegen fühlen, etc.

Einsamkeit ist oft begleitet mit Verletzungen und Kränkungen. Sie brauchen erstmal ihren Raum und ihre Würdigung. Sie brauchen einen Ausdruck, ob schreiben, sprechen, malen, um sie dann Schritt für Schritt in der Vergangenheit lassen zu können. Das was war, können wir nicht ungeschehen machen, aber wir können der Vergangenheit die Macht nehmen, dass sie uns im Hier und Jetzt gefangen hält. Das ist alleine unsere Verantwortung und jeder kann dies ändern.

Wir müssen Kontakt üben, kontinuierlich. Beziehungen ergeben sich nicht einfach so.

Kontakt und Begegnung übt man durch Kontakt und Begegnung. Es braucht dazu Interesse, Zeit, Geduld, Austausch, sich mitteilen, zuhören können, präsent sein und andere in ihrem Anderssein zu respektieren. Weder Partner noch Freunde können das ersetzten, was wir in frühen Jahren nicht bekommen haben. Das sind die falschen Adressen und führen nur zu emotionalen Verstrickungen, die niemanden gut tun.

Wir müssen lernen, wo wir bereit sind Kompromisse einzugehen und wo nicht, Grenzen zu setzen und Grenzen zu achten, uns selbst zu spüren und den anderen. Wer sehr früh Leere-Erfahrungen gemacht hat, muss erstmal lernen, Nähe zuzulassen und sich zu nähren. Oft ist das Herz verschlossen und eine Mauer zu spüren, obwohl die Sehnsucht nach Kontakt so groß ist.

Therapeutisch arbeite ich mit den primären Leibbewegungen des Schauens, Hörens, Tönen und Greifens, dem Wahrnehmen von Körperempfindungen und dem Nachverarbeiten von traumatischem Stress mit den Online-Autonomie-Aufstellungen.

Interview: Die Presse vom 30.10.2022

Einsamkeit_Die Presse vom 30.10.2022
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