Fallbeispiele zur Online-Autonomie-Aufstellung
Zwischen Rückzug und Rebellion in Beziehungen
Eine Klientin, Anfang 40, erlebt sich in Beziehungen oft hin- und hergerissen. Sie pendelt zwischen Rückzug und Trotzreaktionen, kann sich schwer auf Nähe einlassen und fühlt sich gleichzeitig einsam. In ihrer Kindheit musste sie früh stark sein, durfte keine Schwäche zeigen, wurde für Anpassung gelobt und für emotionale Bedürfnisse beschämt. Heute fällt es ihr schwer, sich auf Augenhöhe zu zeigen. Entweder passt sie sich übermäßig an oder geht sofort in Abwehr. Ihre Beziehungen sind geprägt von Missverständnissen, Schutzmechanismen und einem tiefen Gefühl von „Ich komme nicht richtig vor.“
In der Online-Autonomie-Aufstellung wird dieses innere Spannungsfeld greifbar. Die Klientin stellt eine Figur für ihr inneres Kind auf und erkennt, wie sehr dieser Teil nach Beziehung sucht, sich aber gleichzeitig sofort in den Rückzug rettet, sobald emotionale Nähe spürbar wird. Auf der anderen Seite steht eine innere Kämpferin, die mit Sätzen wie „Ich zeig dir, dass ich dich nicht brauche!“ oder „Ich komm dir nicht näher, bevor du mich nicht wirklich siehst!“ versucht, Kontrolle zu behalten.
Die Klienten kann die innere Zerreißprobe körperlich spüren, in der das kindliche Selbst noch in der Vergangenheit eingefroren ist. Sie schickt dem kindlichen Selbst eine Botschaft mit den Worten: „Das Schlimme von damals ist lange vorbei. Du bist da ganz unschuldig und nicht zuständig. Es hat mit uns hier und heute nichts zu tun. Wir haben es überlebt und es kann uns auch nicht mehr gefährlich werden. Du gehörst nicht in die Vergangenheit und auch nicht zu den Eltern. Du gehörst in meinen Raum im Hier & Heute.“ Sie befreit das kindliche Selbst aus der traumatischen Vergangenheit und stellt sie zu sich in ihren Raum.
Der innere Kampf lockert sich. Die Klientin nimmt erstmals eine Position ein, in der sie nicht zwischen Rückzug und Rebellion wählen muss, sondern aus einer neuen Mitte sprechen kann. Später äußert sie klar: „Ich darf Nähe wollen und gleichzeitig für mich sorgen.“
Am Ende der Aufstellung wird der neue innere Stand in der Beziehung zu ihren Selbstanteilen spürbar. Ihr Blick wird ruhiger, ihre Haltung aufrechter, ihre Worte langsamer und klarer. Die Klientin sagt: „Ich bin da, ganz ohne Drama.“ Ein innerer Wendepunkt ist erreicht. Nicht durch Erklärung, sondern durch Erfahrung.
Die Suche nach innerem Halt
Ein Klient Anfang 50, lebt seit Jahren in einem Zustand subtiler innerer Anspannung. Er übernimmt viel, achtet genau auf die Stimmung anderer, sagt selten Nein und fühlt sich ständig unerwünscht. In sozialen Situationen analysiert er unentwegt, was von ihm erwartet werden könnte. Sein Körper ist dabei ständig in Habachtstellung: flacher Atem, angespannte Schultern, eine kaum spürbare Grenze zwischen ihm und dem Außen. Der Klient beschreibt das Gefühl, „zu viel zu sein und gleichzeitig nie genug“.
In der Online-Autonomie-Aufstellung wird dieses Spannungsfeld auf mehreren Ebenen sichtbar. Das aufgestellte innere Kind steht verloren im Raum, vorsichtig, angespannt, wachsam. Die Figur für „die anderen“ wirkt diffus, übermächtig, fordernd. Dem Klient wird deutlich, wie sehr er sich aus dem Kontakt mit sich selbst entfernt hat. Statt aus sich heraus zu leben, hat er sich darauf eingerichtet, Erwartungen zu erfüllen, Konflikte zu vermeiden und bloß nicht zur Last zu fallen.
Ein Schlüsselmoment entsteht, als er sich dem inneren Kind zuwendet und sagt: „Du darfst da sein, auch wenn du etwas brauchst.“ Der Satz wirkt ungewohnt und zugleich erleichternd. In seinem Körper wird ein erstes Aufatmen spürbar.
In der weiteren Aufstellung wird ein zentraler innerer Satz formuliert: „Ich bin nicht falsch, nur weil ich bin.“ Dieser Satz wirkt als Verkörperung einer neuen Haltung.
Zu der aufgestellten Figur der anderen sagt der Klient: „Ich bin nicht hier, um euch glücklich zu machen.“ Und „Ich darf fühlen, ohne mich dafür zu rechtfertigen.“ Seine Haltung verändert sich. Wo vorher Spannung war, entsteht Standfestigkeit. Seine Stimme wird ruhiger, sein Blick klarer. Er findet einen Platz, von dem aus er sich nicht mehr ständig erklären muss. Damit ist eine innere Position erreicht, die keine äußere Bestätigung mehr braucht, sondern aus der eigenen Bezogenheit heraus Halt gibt.
Wenn Verantwortung zur Last wird
Klientin, Mitte 30, wirkt nach außen selbstständig und belastbar. Doch in ihrem Inneren fühlt sie sich ständig überfordert. Sie übernimmt Verantwortung für andere, trifft Entscheidungen stellvertretend, achtet die Grenzen anderer mehr als ihre eigenen und merkt gleichzeitig, wie ihre Energie versiegt. In Beziehungen neigt sie dazu, sich zurückzunehmen oder sich ganz zu verlieren, um Harmonie zu sichern. Wenn Konflikte entstehen, zieht sie sich innerlich zurück oder reagiert mit übertriebener Anpassung. Ihre eigenen Bedürfnisse bleiben dabei auf der Strecke.
In der Online-Autonomie-Aufstellung zeigt sich schnell ein zentrales Thema, dass das innere System durch eine früh übernommene Verantwortung geprägt ist. Die Positionen, die sie aufstellt, lassen eine hohe Identifikation mit einem elterlichen Anteil erkennen. Der Impuls, alles regulieren und stabilisieren zu müssen, ist tief verankert. Gleichzeitig fehlt ein sicherer innerer Ort, an dem sie sich selbst spüren, sich abgrenzen oder für sich einstehen kann.
Der Satz „Ich hab dich so lieb und doch trag ich zu viel von dir“ bringt erstmals eine Differenzierung zwischen Bindung und Überverantwortung in Bewegung. Die Klientin stellt sich dem inneren Konflikt: „Ich will loyal sein, aber ich verliere mich dabei.“
Ein Schlüsselmoment entsteht, als sie den Satz spricht: „Ich lasse das, was nicht zu mir gehört, dort, wo es hingehört.“ Ihre Haltung verändert sich sichtbar. Ihre Atmung wird ruhiger, ihre Stimme klarer. In der Begegnung mit dem aufgestellten Gegenüber sagt sie schließlich: „Ich achte dich und lasse dein Schicksal bei dir.“ Und zu sich selbst gewandt: „Ich darf ganz bei mir bleiben. Ich bin nicht verantwortlich für dein Schicksal.“
Durch diese Sätze entsteht eine neue innere Ordnung. Das Körpersystem der Klientin reagiert spürbar mit Entlastung, Weite, Präsenz. Ihre erwachsene Ich-Position wird stabiler. Am Ende der Sitzung sagt die Klientin: „Zum ersten Mal spüre ich, dass ich mich nicht verlieren muss, wenn ich mich zeige. Dass ich bei mir bleiben darf, ohne jemandem zu schaden.“ Es ist ein erster Schritt in Richtung innerer Freiheit.
Abschied vom verlorenen Zwilling
Eine Klientin, Anfang 40, trägt seit ihrer Kindheit ein unerklärliches Gefühl von Einsamkeit in sich, auch dann, wenn sie nicht allein ist. In engen Beziehungen erlebt sie sich als suchend, oft überverbindlich, innerlich wartend. Sie fühlt sich nicht wirklich angekommen, weder bei sich noch bei anderen. Trotz Therapieerfahrung bleibt ein existenzielles Grundgefühl: „Irgendetwas fehlt.“
In der Online-Autonomie-Aufstellung wird die Hypothese eines verlorenen Zwilling getestet. Dies geschieht über die eigene Körperwahrnehmung. Gibt es deutliche emotionale Reaktionen wird die Hypothese als bestätigt betrachtet und an dem Verlustrauma gearbeitet. Ohne es je bewusst erfahren zu haben, lebt die Klientin in ständiger unbewusster Bezogenheit zu diesem verlorenen Gegenüber. In der Aufstellung wird der Platz des Zwillings sichtbar gemacht.
Als sie sich diesem Platz zuwendet, spricht sie flüsternd: „Ich habe dich gespürt. Ich war nicht allein.“ Ein tiefer Atemzug durchzieht ihren Körper. Tränen fließen. Sie sagt: „Ich habe dich gesucht, in so vielen anderen. Jetzt sehe ich dich.“
In diesem Moment verändert sich etwas in der Atmosphäre. Die suchende Bewegung in ihrem Inneren kommt zur Ruhe. Sie fügt hinzu: „ Anscheinend bist du mein verlorener Zwilling. Du bist du und ich bin ich. Das ist dein Platz und dein Schicksal. Du bist deinen Weg gegangen und ich gehe meinen. Und mein Weg ist ganz anders als deiner. In Zukunft können wir anders miteinander verbunden sein.“
Der Satz fällt nicht leicht und doch entsteht darin eine neue Freiheit. In der körperlichen Erfahrung spürt die Klientin, wie sie sich zurückholt aus einer jahrzehntelangen Ausrichtung auf ein unsichtbares Gegenüber. Sie sagt schließlich, mit ruhiger Stimme: „Du brauchst gar nicht meine Begleitung. Du bist vollständig auch ohne mich. Es gibt einen guten Platz, wo du deinen Frieden findest, wenn ich dich nicht unbewusst festhalten hätte. Ich bleibe. Ich lebe mein Leben.“